Gewerkschaften und linke Aktivistinnen benutzen den 14.Juni, um ihre Abstimmungsparolen zu verbreiten. Das wollen bürgerliche Frauen nicht hinnehmen.
Ladina Triaca
4 min
Der Frauenstreik hat etwas Verbindendes. Tausende Frauen strömen am 14.Juni jeweils in Zürich, Bern oder Genf auf die Strassen; man lächelt sich zu, umarmt sich, freut sich, ob all den violetten Farbtupfern. Der Frauenstreik ist wie ein grosses Fest unter Freundinnen. Doch dieses Jahr ist die Freude getrübt.
Der Grund ist ein Streit um die Pensionskassenreform – kurz BVG-Reform –, über die die Bevölkerung am 22.September abstimmt. Wer sich über den Frauenstreik informieren will, stösst im Internet als Erstes auf eine nationale Website. Zuoberst schlägt einem eine eindeutige Botschaft entgegen: «Nein zum BVG-Abbau». Illustriert ist der Slogan mit einer kleinen Schere. Direkt darunter kann man kostenlos violette Buttons bestellen. Darauf sind drei in die Höhe gerissene Fäuste abgebildet und der Spruch «Nein zum BVG-Renten-Bschiss».
Betrieben wird die Website vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Gabriela Medici, die stellvertretende Sekretariatsleiterin, sagt: «Ein Nein zur BVG-Reform ist für uns zentral. Der feministische Streik ist für uns eine wichtige Gelegenheit, darauf aufmerksam zu machen.» Die Gewerkschaften stellten am 14.Juni aber auch andere Forderungen, etwa jene nach höheren Löhnen in Branchen, in denen viele Frauen arbeiten, wie der Kinderbetreuung oder dem Detailhandel.
Auch das Berner Streikkollektiv, das den Anlass in der Hauptstadt organisiert, wirbt für ein Nein zur BVG-Reform. Es verteilt Buttons, ruft auf Instagram zur Ablehnung der Vorlage auf und organisiert am Freitag eine Rede auf dem Bundesplatz. Das Luzerner Streikkollektiv weibelt ebenfalls für ein Nein. Und in Neuenburg haben Frauen ein Fussballspiel organisiert unter dem Motto «BVG-Reform – ein Eigengoal für die Frauen».
Unverständnis beim Frauenverband
Das ist erstaunlich. Denn wohl kein anderes politisches Geschäft spaltet die Frauen in diesem Jahr so stark wie die Reform der beruflichen Vorsorge. Bürgerliche Frauen sehen in der Vorlage eine jahrzehntealte Forderung der Frauenbewegung erfüllt: Der sogenannte fixe Koordinationsabzug wird abgeschafft. Dadurch können Menschen mit tiefen Löhnen und Teilzeitangestellte künftig einen grösseren Teil ihres Einkommens versichern. Das kommt besonders Frauen zugute.
Linke Frauen hingegen monieren, das Parlament habe aus der Revision eine «Abbauvorlage» gemacht. Sie kritisieren zum einen, dass unbezahlte Arbeit, die häufig von Frauen geleistet wird, nach wie vor nicht in der zweiten Säule versichert ist. Zum anderen stören sie sich daran, dass der sogenannte Umwandlungssatz gesenkt werden soll, was die jährlich ausbezahlten Renten verkleinert.
Gewerkschaften und Sozialdemokraten haben deshalb erfolgreich das Referendum gegen die Vorlage ergriffen. Nun nutzen sie den Frauenstreik, um ihre Abstimmungsparolen zu verbreiten. Strategisch mag das aus gewerkschaftlicher Sicht geschickt sein. Eine breite violette Front scheint so jedoch unmöglich.
Beim Frauendachverband AllianceF, der sich als «politische Stimme der Frauen» versteht, kann man den Fokus der Gewerkschaften nicht nachvollziehen. Erst im April haben die Frauen, die verschiedenen Parteien angehören, an ihrer Delegiertenversammlung die Ja-Parole zur BVG-Reform beschlossen. Die SP-Frauen unterlagen mit 81 zu 15 Stimmen deutlich.
Die Co-Präsidentin von AllianceF und GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy, sagt: «Ich finde es sonderbar, dass die Gewerkschaften nun ausgerechnet auf dieses Thema setzen.» Zum einen würden die Frauen zu den Gewinnerinnen der Reform zählen. Das zeige unter anderem eine Studie, die der Verband beim Beratungsunternehmen BSS in Auftrag gegeben habe. Zum anderen gäbe es, so Bertschy, andere Themen, mit denen sich deutlich mehr Frauen identifizieren könnten: Kinderbetreuung, Gewalt gegen Frauen, Sexismus.
AllianceF ist keine Streikorganisation, sie lobbyiert vor allem im Parlament. Trotzdem hat der Dachverband der Frauen beim grossen Frauenstreik 2019 zur Teilnahme aufgerufen und eine Aktion im Parlament durchgeführt. Auch letztes Jahr hat AllianceF ein Podium mit Politikerinnen im Bundeshaus organisiert. Dieses Jahr plant der Dachverband am Streiktag keinen Anlass mehr. Man fokussiere sich stattdessen auf das kürzlich verabschiedete Zukunftsprogramm für Gleichstellung.
FDP-Frauen planen Gegenkampagne
Einen Schritt weiter gehen die freisinnigen Frauen. Sie haben am Samstag an ihrer Generalversammlung in Wil einstimmig die Ja-Parole zur BVG-Reform beschlossen. Aufgeschreckt von den Aktivitäten der Gewerkschaften, werden sie am Streiktag mit einer Social-Media-Kampagne auf ihre Position aufmerksam machen.
Die Präsidentin der FDP-Frauen, Susanne Vincenz-Stauffacher, sagt: «Die Gewerkschaften haben uns den Fehdehandschuh hingeworfen, indem sie den Streik für ihre Nein-Kampagne benutzen. Wir können das nicht auf uns sitzen lassen. Wir müssen einen Kontrapunkt setzen.»
Aus dem Frauenstreik wird also ein Abstimmungsstreit. Ob die Debatte um die BVG-Reform jedoch viele Frauen auf die Strasse treiben wird, ist fraglich. Die Streikorganisatorinnen rechnen in diesem Jahr mit deutlich weniger Teilnehmerinnen als im letzten Jahr.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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